Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher unserer Internetseite. Der folgende Text, den wir hier veröffentlichen, erreichte uns von einem Kameraden:
Die Geschichte eines Feuerwehrmanns an irgendeinem Tag, irgendwo im Südwesten Deutschlands. Leider geschieht es jeden Tag und allzu oft, aber diese Geschichte ist es wert, erzählt zu werden und außerdem Teil einer wahren Begebenheit. Damit Sie die Geschichte bis zum Schluss lesen, versuche ich es, etwas spannend zu machen.
Es ist etwa 20 nach 6 am frühen Morgen, in einem beschaulichen Ort bei sternenklarem Himmel und eisigen vier Grad unter Null. Wie so viele Menschen, macht sich an diesem Morgen gerade ein Mensch startklar, um zu seiner Arbeitsstelle zu fahren. Gerade als dieser sich völlig verschlafen die Zähne putzt, dröhnt es auch schon ohrenbetäubend aus seinem Meldeempfänger durch das ganze Haus. (Mal wieder wachen Menschen aus Ihrem Tiefschlaf auf, die damit garnichts zu tun haben und eigentlich noch etwas schlafen könnten.) Zahnbürste fallen gelassen und kurz auf den Meldeempfänger geschaut. Mit dem Einsatzstichwort „Verkehrsunfall mit Person“ wird der Feuerwehrmann zur Einsatzstelle gerufen.
Erschwert wird diese Situation mit der gleichzeitigen Bestätigung, dass sich noch eine Person im verunfallten LKW befindet, der zudem mit Gefahrgut beladen ist. Oha… schluck… schluchz… Nun ja, in diesem Moment ist dessen Adrenalinspiegel mehr als erhöht und er wechselt in seine Rolle des Feuerwehrmanns. (Von nun an ist er hellwach, das völlig Verschlafen liegt der Vergangenheit an.) Das Herz rast und „zack“, innerhalb von Sekunden sind die Schuhe angezogen, die Garage geöffnet und die Fahrt mit dem Privat-PKW geht in Richtung des Feuerwehrgerätehauses. Tausend Dinge schießen ihm durch den Kopf… Hoffentlich lebt die Person noch, hoffentlich ist sie nicht allzu schwer verletzt, hoffentlich können wir ihr helfen usw. (Ich könnte noch hunderte Dinge aufzählen, aber wir wollen ja zum Wesentlichen kommen.) Kaum in der Hauptstraße angekommen, sind es nur noch wenige hundert Meter bis zum Gerätehaus.
Nur noch einmal links abbiegen, aber die Ampel zeigt rot . Was nun? Na der Feuerwehrmann hat doch gut in seiner Ausbildung aufgepasst; auch er darf mit seinem Privat-PKW Sonderrechte in Anspruch nehmen, solange er niemanden gefährdet. OK, dann mal schön aufpassen, da steht jemand auf der Linksabbiegerspur. Nun fährt der Feuerwehrmann rechts an dem stehenden PKW auf der Rechtsabbiegerspur vorbei und tastet sich langsam in die Kreuzung nach links ein. Super, es kommt keiner, dann aber schnell. Keinen gefährdet, alles richtig gemacht… Los, weiter, denn nicht vergessen, da braucht ihn jemand.
So zumindest die Theorie, denn im Rückspiegel sieht er einen völlig aufgebracht anrasenden Verkehrsteilnehmer, der ihm folgt und dabei ohne mit der Wimper zu zucken über die rote Ampel gefahren ist. Hmmm… was den wohl gestochen hat? Im Gerätehaus angekommen und gerade in die Einsatzkleidung für Technische Hilfeleistungen geschlüpft, steht er plötzlich neben ihm mit seinem Kaffeebecher und wohlparfümiert. Der „Klugscheißer“ (man kennt ihn nicht, aber er verhält sich so) mit den Worten: „Du weißt schon, dass auch Feuerwehrleute sich an die Straßenverkehrsordnung halten müssen?“ Hat er das wirklich gesagt? Mit den Worten „Ich war selbst ein Feuerwehrmann und ich weiß das!“ verblüffte er diesen noch deutlicher. Keiner wirklichen Schuld bewusst, verabschiedet sich der Feuerwehrmann mit den Worten: „Wenn man keine Ahnung hat, besser informieren und nicht bei meiner Arbeit stören“ in Richtung des erstausrückenden Einsatzfahrzeuges.
Kurz in Gedanken an diesen „netten“ Herrn versunken musste er schlucken. Hat er nicht die Sirene am Gerätehaus gehört? Er stand ja noch unmittelbar davor, als diese lief. Er sei doch auch mal Feuerwehrmann gewesen? Hier geht es um Leben und Tod. Was ist nur mit ihm los?
Hallo… aufwachen! Du musst für den Einsatz bereit sein, dachte sich der Feuerwehrmann. Der Maschinist schaltet Blaulicht und Martinshorn ein und los gehts. Der Gruppenführer bekommt nochmals über Funk die Bestätigung „LKW mit Gefahrgut, eine Person befindet sich noch im LKW“. Der Puls rast. Schnell die Infektionsschutzhandschuhe angezogen. Eine Absprache untereinander, wer welchen Part übernimmt und wer, wen und wie noch unterstützen kann. Dann, nach ein paar Minuten Einsatzfahrt, die Worte des Gruppenführers: „Oha, da unten liegt er.“ Ein LKW, der ca. 20 Meter eine Böschung hinab gestürzt ist.
Der Gruppenführer fordert Unterstützung zur Lageerkundung von seiner Mannschaft an und nach kurzer Zeit ist eins klar: Das gefährliche Medium tritt nicht aus. (Gott sei Dank geht dieser Kelch an uns vorbei. Feuerwehrfrauen und -männer unter euch, Ihr wisst wovon ich spreche.) Menschenrettung, Menschenrettung, Menschenrettung, wie es ein weiser Mann auf der Landesfeuerwehrschule immer gepredigt hat, ist die logische Schlussfolgerung, nachdem das Risiko für einen selbst minimiert ist. (Stellt euch einen Mann mit einem Stock vor, der die Worte “Menschenrettung, Menschenrettung, Menschenrettung” lautstark ausruft und mit seinem Holzstab auf einen Schreibtisch hämmert. Beeindruckend, wie mir das im Gedächtnis geblieben ist und vor allem wertvoll. Danke dafür!)
Also ab zum Fahrer im verunfallten LKW. Nun sind natürlich alle gelernten Handgriffe gefragt. Mit schwerem Gerät wird der Zugang zum Fahrer geschaffen. Alles andere wird in diesem Moment ausgeblendet. Das Menschenleben ist das höchste Gut und muss geschützt werden. Der Fahrer ist befreit und an den Rettungsdienst übergeben. Gut gemacht. Eine große Last fällt ab.
Aber dann kreisen plötzlich die Gedanken um den Klugscheißer wieder im Kopf herum. Kurz mal mit dem Polizisten um die Ecke geplaudert. Der konnte nur den Kopf schütteln und meinte: „Ah, das könnte einer der selbsternannten Sheriffs sein. Die gibt es öfter.“ Kurz über den Paragraphen der StVO gesprochen und siehe da, in der Ausbildung doch recht gut aufgepasst. § 35 StVO besagt die Inanspruchnahme von Sonderrechten bei der Ausführung hoheitlicher Aufgaben, wenn dies dringend geboten ist. Ist OK. (für alle die es googeln wollen, aber verschont mich mit Rechtssprüchen.) Für alle, die es nicht verstehen: Bei Menschenleben in Gefahr ist es dringeng geboten. Bei einem brennenden Papierkorb auf einer freien Fläche ohne Gefährdung von Menschenleben eben nicht. Und selbstverständlich muss ein Feuerwehrmann die Inanspruchnahme der Sonderrechte sorgfältig abwägen, bevor es sich dazu entscheidet. Kurz und knapp: Er darf niemanden gefährden. Aber ich vermute mal, dass es den meisten bewusst ist, dass es das Allerletzte ist, was einem Feuerwehrmann in den Sinn kommt. Menschen gefährden oder verletzen, das kommt gar nicht in die Tüte…. Wir wollen helfen!
Nun gut, widmen wir uns wieder dem Einsatzgeschehen. Sicherungsmaßnahmen durchgeführt und die Einsatzstelle etwas frei geräumt, schließlich muss der schwere LKW von seiner Ladung befreit und geborgen werden. Der Verkehr wird an der Unfallstelle auf einer Spur vorbei geführt. (Ich möchte nur kurz erwähnen, dass wir uns auf einer stark befahrenen Bundesautobahn befinden.) Die Straßenmeisterei und die Polizei geben ihr Bestes, aber hoppla. Dauernd quietschende Reifen auf der Autobahn. Auf einer Spur, die an der Einsatzstelle mit mäßiger Geschwindigkeit vorbeigeführt wird. Seltsam… Na das muss sich der Feuerwehrmann mal genauer anschauen.
Schau an, die kennst du doch, die „Gaffer“. Vor geraumer Zeit bereits von Feuerwehrkollegen mit Wasser bespritzt worden, tauchen sie auch hier auf. Das sind meist die Menschen, die nicht wissen, wie man eine Rettungsgasse bildet. Ist ja auch verdammt schwer. Zur Erinnerung: Die äußerst linke Spur fährt nach links und die restlichen Spuren fahren nach rechts. Nehmt mal die rechte Hand und legt diese flach mit der Handinnenfläche auf den Tisch (Ich erkläre es extra so genau für die „Gaffer” und „Klugscheißer“). Streckt den Daumen von allen übrigen Fingern weg, so ist die entstandene freie Fläche zwischen Daumen und Zeigefinger die Rettungsgasse. Hats klick gemacht? Wir haben heute keinen mit Wasser bespritzt, konnten allerdings einigen bei knappen Ausweich- bzw. Bremsmanövern zuschauen, bei denen sie beindruckenderweise ohne weitere Unfälle zu verursachen, mit Ihren Handys ein paar Fotos gemacht haben.
Wo ist eigentlich der „Klugscheißer“ von heute Morgen 20 nach 6? Den könnte man hier gut gebrauchen, denn er könnte über den „gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr“ referieren.
Genug ist genug. Für alle, die es in dieser Geschichte bis ans Ende geschafft haben. Ein solcher Einsatz geht meist über einen langen Zeitraum (ca. 10 Stunden und mehr). Wir machen das alles freiwillig und das Ganze unentgeltlich. Und warum? Weil wir helfen wollen und uns dabei gut fühlen. Ein gerettetes Leben und ein ehrliches „Dankeschön“ ist uns mehr wert als jeder gezahlte Euro. Was wünscht sich eigentlich dieser Feuerwehrmann, über den ich die ganze Zeit erzähle? Respektvollen Umgang mit Einsatzkräften. Ein wenig Dankbarkeit für unsere Arbeit, respektvollen Umgang mit Unfallopfern, mehr Zivilcourage und mehr Unterstützung im Ehrenamt.
Ganz besondere Grüße gehen an die Klugscheißer und Gaffer unter Euch. Von Euch wünsche ICH mir deutlich weniger.
Geschrieben von Andreas Kasper